Hobbysportler gegen Profis, David gegen Goliath: 2009 forderte der RSV Weil in der Rollhockey-Champions-League die internationalen Top-Clubs heraus. Der Außenseiter schlug sich achtbar.

„Unterschied wie Tag und Nacht“: die BZ vom 23. November 2009 Foto: BZ-Archiv

Stell’ Dir vor, Du spielst Europapokal und 3000 Kilometer entfernt sitzen wildfremde Menschen vor dem Radio, lauschen dem Treiben und hören Deinen Namen. Im Nu vom Weiler Nonnenholz in den Atlantischen Ozean – der RSV Weil kam 2009 in derlei Genuss. Zum Auftakt der European League, dem Rollhockey-Pendant zur Fußball-Champions-League, traf der RSV auf das portugiesische Top-Team Candelária SC, „das eigens einen Reporter von der Azoren-Insel Pico mitgebracht hatte, der die Partie in voller Länge in die Heimat übertrug“, berichtete BZ-Redakteur Jochen Dippel. So waren die Weiler für 50 Spielminuten Radiosternchen auf vier Rollen.

2009 war das Jahr des RSV Weil: Europapokal und Schweizer Double
Eine Episode, die zum wohl glorreich-turbulentesten Jahr des Vereins passte. Sportlich lief es geschmeidig: Im Februar spielte Weil zuhause vor 1000 Zuschauern im Viertelfinale des CERS Cup, der Europa League des Rollhockey, im Mai folgte das Schweizer Double aus Meisterschaft und Pokal. Doch nebenher rollte ein öffentliches Scharmützel zwischen Club und Ex-Mäzen Roger Ehrler, der parallel den RHC Friedlingen aus der Taufe hob und dorthin im Sommer 2009 mehrere Weiler Akteure lotste. So entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, dass just Ehrler den RSV-Auftritt in der European League überhaupt erst final ermöglichte. Denn der Schweizer Verband hatte sich geziert, Teams für den Europapokal zu melden – bis Ehrler erklärte, für die Kosten (Fahrten, Hotels) sämtlicher Schweizer Vertreter auf europäischer Bühne aufzukommen.

Internationales Flair streifte bereits seit 1991 regelmäßig durch die Weiler Rollsporthalle. Bei seinen bisherigen beiden Starts im Landesmeistercup stieß der RSV ins Halbfinale vor (93/94, 95/96). Mit der Reform der Wettbewerbe 1996 wurde die European League ähnlich dem Fußball mit Gruppenphase und Finalturnier installiert. Seit jeher dominieren die Top-Nationen: alle 113 Europapokal-Titel gingen bisher an Spanien (68), Portugal (29) und Italien (16).

„Hobbyverein gegen ein absolutes Weltklasse-Profiteam“

RSV-Coach Ron Schneider vor dem Duell mit Candelária

So war Weil 2009 bei seinem neunten Europapokal-Auftritt krasser Außenseiter in seiner Gruppe gegen Candelária sowie die spanischen Top-Clubs CE Noia und Titelverteidiger Reus Deportiu. „Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass hier ein Hobbyverein gegen ein absolutes Weltklasse-Profiteam spielt“, sagte RSV-Coach Ron Schneider vor dem Auftakt gegen Candelária, die mit Sérgio Silva einen Weltmeister von 2003 aufboten. Doch wies auch Weil internationale Expertise vor, dies mit den Schweizern Samuel Wenger, Vize-Weltmeister 2007, und Daniel Dietrich, WM-Achter im Juli. Dazu gesellten sich Routiniers (Lain, Wörner) und junge Eigengewächse (Abraha, Bross, Werner).

Den Zuhörern auf den Azoren meldete Rádio Pico schließlich einen 6:2-Sieg der Portugiesen. Dietrich „ließ das Leistungsgefälle zwischen Spielen in der Schweizer Nationalliga A und in der Euroliga betrübt sinnieren“, schrieb die BZ: „Dazwischen liegen Welten, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sagte der RSV-Goalie. Die Gäste wussten offensiv zu überzeugen, „in der Defensive haben sie mich dagegen enttäuscht. Da gab es für ein Spitzenteam von lauter Profis unerwartet viele Lücken“, lautete die Analyse von RSV-Coach Schneider.

Außenseiter Weil trifft bei engagiertem und diszipliniertem Auftritt doppelt


Dessen Team belohnte sich vor 450 Fans für einen engagierten und disziplinierten Auftritt mit zwei Toren. Mit dem 1:1 von Marc Werner (7.) „brachten wir sie wie erhofft etwas aus dem Konzept“, urteilte RSV-Kapitän Max Bross, den vor allem die „sehr guten Körpertäuschungen“ der Gäste beeindruckten. „Da muss man lange warten, sonst steht man im Leeren.“ Dominique Kaul traf zum 2:6-Endstand (39.). Gegenüber der BZ haderte Schneider ein wenig mit dem „zu hoch ausgefallenen“ Ergebnis, weil die Portugiesen binnen 60 Sekunden von 3:1 auf 6:1 erhöht hatten (35./36.).

Zwar folgten für die Weiler fünf weitere Niederlagen in der European League, doch schlugen sie sich achtbar, wie beim Rückspiel in Candelária (4:6) im Februar 2010. Neben zwei portugiesischen Hörfunkteams übertrug das Azoren-TV die Partie mit vier Kamerateams sogar live. Seinen letzten internationalen Auftritt hatte der RSV, heute Zweitligist, im November 2011 als Schweizer Vizemeister in der CERS-Cup-Quali. Und die Rollhockey-Champions-League 2010? Die gewann, man kennt es irgendwo her, der FC Barcelona.

RSV Weil – Candelária SC 2:6 (1:3)Tore: 0:1 Oliva (5.), 1:1 Marc Werner (7.), 1:2 Ribeiro (18.), 1:3 Oliva (25.), 1:4 Moreira (35.), 1:5 Ribeiro (35.), 1:6 Moreira (36.), 2:6 Kaul (39.). Zuschauer: 450.

Veröffentlicht in der Badischen Zeitung am: 05. Juli 2020
https://www.badische-zeitung.de/als-der-rsv-weil-in-der-champions-league-spielte-und-bis-auf-die-azoren-reiste–187312167.html

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